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12.05.2014

Herr Staatssekretär, sehr geehrte Damen und Herren,

„Wer steilen Berg erklimmt, Hebt an mit ruh‘gem Schritt“, mit diesen Worten dämpft der Herzog von Norfolk in William Shakespeares Heinrich VIII. den ungestümen Herzog von Buckingham. „Wer steilen Berg erklimmt, Hebt an mit ruh‘gem Schritt“ - könnte auch als Leitlinie des Forschungsprojekts gelten, über das ich Ihnen heute zum vierten Mal berichten darf. Der Historikerkommission, für die ich hier spreche, ging es von Anfang an um solide wissenschaftliche Arbeit, nicht um schnelle öffentlichkeitswirksame Ergebnisse. Dabei sind wir, um im Bild zu bleiben, auf dem letzten Steilstück angekommen: Die Spitze des Berges istzu sehen, aber noch nicht erreicht. Um Ihnen zu verdeutlichen, wo wir stehen, erinnere ich Sie zuerst an den Aufbau des Gesamtprojekts; dann skizziere ich den Stand der einzelnen Teilprojekte; schließlich gebe ich Josephine Ulbricht und Ralf Banken das Wort, die ihre Befunde vorstellen werden.

Die unabhängige Historikerkommission hat für das Gesamtprojekt vier Schwerpunkte ausgewählt: Der erste Schwerpunkt ist die Geschichte des Reichsfinanzministeriums als Behörde. Erweitert und vertieft wird diese Behördengeschichte durch Teilprojekte, die sich den Säulen der nationalsozialistischen Rüstungs- und Kriegsfinanzierung widmen, als da sind Steuern, Schulden und Ausplünderung. So nimmt der zweite Schwerpunkt die Besteuerung in den Blick, und der dritte beschäftigt sich mit der Schuldenpolitik des Finanzministeriums. Der vierte Schwerpunkt ist der nationalsozialistischen Rüstungs- und Kriegsfinanzierung durch Ausplünderung gewidmet; er gliedert sich seinerseits in vier Unterprojekte: zum einen die fiskalische Judenverfolgung; zum anderen die Einziehung des Vermögens der sog. „Reichsfeinde“; dann die Rolle des Reichsfinanzministeriums im Generalgouvernement; und schließlich seine Aktivitäten bei der Ausbeutung der vom nationalsozialistischen Deutschland okkupierten Länder. Die Forschungen zu diesen Themen sind zu verschiedenen Zeitpunkten gestartet; und sie sind deshalb auch unterschiedlich weit fortgeschritten.

Ein Teilprojekt ist abgeschlossen. Vor einem Jahr erschien die Studie von Christiane Kuller zur fiskalischen Judenverfolgung. Ihr Band „Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland“ eröffnet die Buchreihe „Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus“, in welcher der De Gruyter Oldenbourg Verlag sukzessive die weiteren Forschungsergebnisse in Form von Monographien
publizieren wird.

Zwei weitere Projekte befinden sich in der Endphase und dürften noch in diesem Jahr zum Abschluss kommen. Da ist erstens das Forschungsvorhaben von Ramona Bräu, das die Rolle des Reichsfinanzministeriums im Generalgouvernement untersucht. Die Studie hat wesentlich davon profitiert, dass Frau Bräu intensiv und ertragreich in polnischen Archiven geforscht hat. So kann sie belegen, dass der Haushalt des Generalgouvernements durch abgeordnete Beamte der Reichsfinanzverwaltung aufgestellt sowie vom Ministerium geprüft und genehmigt wurde. Dabei hatten die Interessen des Reiches absolute Priorität. Die wirtschaftlichen Ausbeutung des Landes, die ständige Erhöhung von Steuern und Abgaben sowie nicht zuletzt die Abwälzung der Kosten des Einsatzes von SS und Polizei senkten drastisch den Lebensstandard der Bevölkerung. Auch auf die Vermögen griffen Zöllner der Reichsfinanzverwaltung gleich nach dem Überfall auf Polen zu. Vor allem jüdische Vermögen wurden durch mobile Kommandos, aber auch durch Wehrmacht und SS geraubt und an die Beutestelle der Reichshauptkasse abgegeben. Die Beamten in Berlin wussten um diese völkerrechtswidrige Enteignung von Privatvermögen. In den vom Reich annektierten Gebieten zog die Haupttreuhandstelle Ost das polnische Staats- wie Privatvermögen ein. Doch bemühte sich das Reichsfinanzministerium seit 1939 darum, den Enteignungsprozesses unter seine Kontrolle zu bringen. Die Kontakte zur HTO waren dabei nicht nur von Konkurrenz, sondern auch von enger Zusammenarbeit geprägt. Die Enteignungsexperten des Ministeriums, die mit der Enteignung jüdischer und sogenannter „reichsfeindlicher“ Vermögen befasst waren, arbeiteten eng mit der Treuhandstelle zusammen, saßen in den Aufsichtsgremien und regelten die Zuständigkeit bzw. Übergabe von Beutewerten.

Das zweite Projekt, das 2014 abgeschlossen wird, ist die Studie zur Steuerpolitik des Reichsfinanzministeriums. Ralf Banken wird Ihnen seine wichtigsten Befunde gleich vorstellen. Die anderen vier Teilprojekte sind weit fortgeschritten, dürften aber erst im nächsten bzw. übernächsten Jahr fertig werden. Es sind jene Projekte, bei denen sich unerwartete Probleme bei der archivalischen Überlieferung ergaben oder die später gestartet wurden, weil wir sie erst durch Pilotprojekte vorbereiten wollten. Ein Teilprojekt muss aus sachlichen Gründen am Ende des Gesamtprojekts stehen.

Probleme mit der archivalischen Überlieferung gab es beim dritten Schwerpunkt, der die Schuldenpolitik des Reichsfinanzministeriums analysiert. Adam Tooze musste feststellen, dass nicht das Reichsfinanzministerium, sondern der von der Deutschen Reichsbank dominierte Kapitalmarktausschuss die Kreditpolitik des Dritten Reiches bestimmte. Gerade für dieses Gremium fehlen aber belastbare Quellen. Darum wird Herr Tooze keine Monographie, sondern nur mehrere kleinere Publikationen verfassen, die sich jeweils breiter mit der Verschuldungspolitik des Dritten Reiches beschäftigen. Diese werden im Laufe des Jahres 2014 geschrieben und 2015 erscheinen.

Um die Ausplünderung der vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Gebiete geht es im Teilprojekt von Jürgen Kilian. Dieser hat in dreizehn Archiven des In- wie Auslands recherchiert und ist dabei zu gewichtigen, instruktiven Ergebnissen gekommen. Zwar verfügte das Reichsfinanzministerium formal über vergleichsweise geringe Kompetenzen außerhalb des Reichsgebiets; trotzdem übte es auf der Ebene der obersten Reichsressorts wie auch über seine Beamten, die an die einzelnen Besatzungsverwaltungen abgeordnet waren, großen Einfluss aus. Die handverlesenen Finanzspezialisten überwachten und steuerten praktisch die gesamte Finanzpolitik Kontinentaleuropas. Ihr vorrangiges Ziel war die Mittelbeschaffung, vor allem die Eintreibung der oft weit überhöhten Besatzungskosten. Diese entlasteten die deutsche Staatskasse, erreichten sie doch einen Anteil von etwa einem Drittel an den gesamten Kriegskosten. Zugleich sorgten die Beamten dafür, dass die Finanzbehörden in den besetzten Gebieten das Steueraufkommen steigerten und das dortige Finanzwesen dem deutschen Fiskalsystem sukzessive anglichen. Damit bereiteten sie den künftigen sog. „Großwirtschaftsraum“ unter deutscher Hegemonie vor. Zweckmäßigkeitsdenken, traditionelle Prägungen und die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten beeinflussten das Vorgehen der Besatzer. Dass die Finanzabteilungen in enger Zusammenarbeit mit Polizei und SS in einigen besetzten Ländern seit Ende 1941 das Vermögen von emigrierten oder deportierten deutschen, tschechischen oder polnischen Juden einzogen, belegt, wie stark das Ministeriums und seine Beamten in die nationalsozialistische Verfolgung eingebunden waren. Jürgen Kilian hat die Archivarbeit abgeschlossen und verschriftlicht zurzeit seine Forschungsergebnisse. Mitte 2015 wird er damit fertig sein.

Weit fortgeschritten ist auch das Teilprojekt, das die Entziehung des Vermögens von sogenannten „Volks- und Staatsfeinden bzw. Reichsfeinden“ untersucht. Josephine Ulbricht wird es Ihnen im Anschluss gleich präsentieren.

Aus sachlichen Gründen am Ende des Gesamtvorhabens steht das Teilprojekt von Stephanie Middendorf zur „Institutionengeschichte des Reichsministeriums der Finanzen“, da es auf den Ergebnissen der anderen Teilprojekte aufbaut und diese übergreift. Ursprünglich nur als Behördengeschichte des Ministeriums ab 1933 konzipiert, hat sich das Vorhaben in zwei Richtungen weiterentwickelt. Zum einen bezieht es die Zeit der Weimarer Republik mit ein und nimmt so die längere Erfahrungsgeschichte der Ministerialbeamtenschaft sowie die Kontinuitäten der finanzpolitischen Debatten in den Blick. Zum anderen beschränkt sich Middendorfwegen der schlechten Aktenüberlieferung nicht auf die Analyse von Personal, Organisation und Politik des Ministeriums, vor allem der Haushaltspolitik, sondern bezieht in ihrer Studie außer methodischen Fragen der Institutionengeschichte auch das Problem der wachsenden Staatsausgaben ein sowie nicht zuletzt die Diskussion um Haushaltsausgleich bzw. Haushaltsordnung auf der einen Seite und Kreditschöpfung auf der anderen Seite, die bereits in der Weimarer Republikgeführt wurde. Als übergreifendes Narrativ dient ihr das historisch noch wenig gefüllte Konzept der „Staatlichkeit“. Sie fragt, ob die bisherigen Debatten über die Staatsform des Nationalsozialismus, insbesondere die ältere Polykratie-These sowie die jüngeren Konzepte von einer „neuen Staatlichkeit“, für die Analyse der Ministerialverwaltung auch in längerer Perspektive hilfreich sind oder ob es alternativer Begrifflichkeiten bedarf, um die Zäsur von 1933 analytisch zu überschreiten. Middendorf hat sich in zahlreichen Archiven ein breites und solides Fundament an Quellen erarbeitet. Dieses bereitet sie derzeit auf und schreibt erste Teile des Textes. Einige Aufsätze zum Thema liegen von ihr vor oder sind im Erscheinen. Für Ende 2015/Anfang 2016 ist mit dem Abschluss ihrer Forschungen zu rechnen.

Sie sehen, meine Damen und Herren, das wir mit dem Gesamtprojekt „Das Reichsministerium der Finanzen in der Zeit des Nationalsozialismus“ gut vorangekommen sind. Auch wenn die Spitze des Berges noch nicht erreicht ist, haben wir sie doch klar vor Augen und sehen sie in greifbarer Nähe.

Wie angekündigt übergebe ich das Wort jetzt an Josephine Ulbricht. Sie spricht über „Das Vermögen der ‚Reichsfeinde‘“. Anschließend stellt Ralf Banken sein Teilprojekt unter dem Titel „Steigende Einnahmen und gesellschaftliche Steuerung: die Steuerpolitik im Dritten Reich“ vor.