Das Projekt

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Das Reichs­ministerium der Finanzen spielte im „Dritten Reich“ beileibe keine Neben­rol­le. Weder war es eine „Auf­sichts­be­hör­de oh­­ne politischen Rück­­halt“, noch fungierte Lutz Graf Schwerin von Krosigk, der dem Haus von 1932 bis 1945 vorstand, lediglich als „Haupt­­buch­halter der Nation“. Eine solche In­terpretation liegt auf der Linie der Entla­stungs­­stra­te­gi­e leitender Beamter des Reichsfinanz­mi­ni­ste­riums nach 1945. Zwar konnten diese nicht einfach ver­schwei­gen, wie sie im NS-System agiert hatten.

Doch entwarf die ehemalige Führungsspitze des Reichsfinanz­mini­ste­ri­ums mit hoher Deutungskraft das Bild einer politisch neutralen Verwaltung, die allein fachlichen Grund­sätzen gefolgt sei. Hinter diesem Selbstbild verblasste, welchen un­ver­zicht­ba­ren Beitrag das Reichsfinanzmi­nisterium zum Funktionieren, zur Stabili­tät und damit zur ver­bre­che­ri­schen Politik des NS-Regimes ge­leistet hatte: erstens, in­dem es das Unrechtsregime samt seiner Politik der Auf­rüstung und Kriegführung finanzierte; und zweitens, indem es sich dazu mit Steu­ern und Kredit nicht allein der her­kömmlichen Mittel bediente, sondern in großem Umfang auf schlichten Raub setzte.

Die historische Forschung hat sich in den letzten zehn Jahren in regional oder lokal an­gelegten Studien durchaus mit der Frage beschäftigt, ob und wie die Finanzbürokra­tie an der Verfolgungs- und Raubpolitik des NS-Regimes mitwirkte. Was bis heute fehlt, ist eine wissenschaftliche Untersuchung von Struktur, Tätigkeit und politischem Ge­wicht des Ministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. 2009 beauftragte das Bundesministerium der Finanzen deshalb eine siebenköpfige, international zu­sam­men­­gesetzte Kommission von unabhängigen Historikern, genau das zu untersuchen.

Das Forschungsprogramm, das die Kommission entworfen hat, bün­delt sich zu vier Schwerpunkten: Der erste Schwerpunkt ist eine modernen wissenschaftlichen Ansprü­­chen genügende Geschichte des Reichs­­finanzmini­ste­ri­ums als Behörde (Projekt 1: Institu­tionen­ge­schichte des Reichsministeriums der Finanzen). Die Behördengeschichte wird erweitert und vertieft durch Projekte, die sich den Säulen der nationalsoziali­stischen Auf­rüstungs- und Kriegs­finanzierung wid­men, als da sind Steuern, Schul­den und Ausbeutung. So nimmt der zweite Schwer­punkt die Steuerpolitik des Mini­steriums in den Blick (Projekt 2: Steuerpolitik). Der dritte Schwerpunkt untersucht die Kreditfinanzierung des „Dritten Reiches“ (Projekt 3: Staatsverschuldung). Um die nationalsozialistische Raub- und Beutefinanzierung geht es im vierten Schwerpunkt: zum einen um die fiskalische Judenverfolgung (Projekt 4: Fiskalische Judenverfolgung); zum anderen um die Einziehung des Vermögens der soge­nann­ten „Reichsfein­de“ von den politischen Emigranten und den durch das Regime Ausgebür­ger­ten über Sinti und Roma bis hin zu politisch missliebigen Personen und Institutionen (Pro­jekt 5: Vermögen der „Reichsfeinde“); schließlich um die Ausplünderung der eroberten Länder (Projek­t 6: Reichsfinanzverwaltung im Ge­ne­ral­gouvernement; Projekt 7: Reichsfinanzmini­ste­rium und monetäre Ausbeutung Europas). Bei den skizzierten Schwer­punkten wird es jeweils darum gehen, die Handlungsspielräume bei der Mixtur aus Steuer-, Kredit- und Raubfinanzierung auszuloten. Damit verbindet sich die Fra­ge, welche Stellung das Finanzministerium im nationalsozialistischen Herr­schafts­ge­fü­ge innehatte, wo seine Macht wuchs, wo es an Einfluss verlor, welche Netzwerke es innerhalb des Ministeriums gab, wie Entschei­dungsprozesse abliefen.